Gespräch Markus Wener und Ruth Ur
MW: Liebe Ruth, die Ausstellung „I said, ‘Auf Wiedersehen‘“ wird am 30. Januar 2024 im Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestags eröffnet. Wie kam die Ausstellung zustande?
RU: In diesem Jahr jährt sich der sogenannte Kindertransport zum 85. Mal. Bei dieser außergewöhnlichen Aktion wurden innerhalb von zehn Monaten 10.000 überwiegend jüdische Kinder aus Nazi-Deutschland gerettet. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas war vergangenes Jahr in Großbritannien und hatte die Gelegenheit, sich mit einer Reihe von Kindern zu treffen. Ich weiß, wie wichtig dieses Thema für sie und für die Menschen, die sie getroffen hat, ist. In Deutschland ist der Kindertransport ein eher unbekanntes Kapitel des Holocaust. Das möchte ich mit dieser Ausstellung ändern.
MW: Während der Recherche zur Ausstellung hast du Dich auch mit damaligen Kindern getroffen, die zwischen 1938 und 1939 von Deutschland nach Großbritannien geschickt wurden. Es wird bei diesen Begegnungen mit den Kindern sicherlich viele bewegende Momente gegeben haben. Ist Dir einer besonders in Erinnerung geblieben?
RU: Es gibt viele bewegende Erlebnisse und Geschichten, die ich gerne teilen würde. Von den fünf Protagonistinnen und Protagonisten, deren Geschichten wir im Bundestag vorstellen, sind zwei noch am Leben: Henry Foner (ehemals Heinz Lichtwitz) und Ann Kirk (ehemals Hannah Kuhn). Sie und ihre Ehepartner kennen zu lernen, war für mich einer der Höhepunkte während der Ausstellungsvorbereitung. Ich hatte die Gelegenheit, Ann und ihren Mann Bob in London zu besuchen. Ich zeigte Ann einige ihrer Kindheitsfotos auf meinem Handy, darunter ein Bild von ihr und ihrer Mutter auf dem Balkon ihrer Wohnung in Berlin. Das Foto ist kurz vor ihrer Abreise mit dem Kindertransport im Jahr 1939 aufgenommen worden. Als sie dieses Bild sah, sagte Ann: “Oh I love that one! That was a fur coat of mum’s. I snuggled into it. That was the balcony outside our flat.” Auf dem Foto sieht man ein lächelndes Mädchen, das seine Wange liebevoll auf den Mantel seiner Mutter legt. Die Mutter lächelt ebenfalls, aber die Verzweiflung steht ihr ins Gesicht geschrieben.
MW: Deine Ausstellung „Sechzehn Objekte“ letztes Jahr im Bundestag war ein großer Erfolg; was möchtest Du mit dieser Ausstellung erreichen?
RU: Mein Ziel ist es, neue Ansätze für die Vermittlung des Holocaust zu finden. Deshalb arbeite ich mit Künstlern und Designern zusammen oder greife auf Strategien aus der Kunst zurück. Ich bin überzeugt, dass dies einen dringend benötigten neuen Zugang zu diesem schwierigen Thema bieten kann.
Das Ziel von „Sechzehn Objekte“ war es, die Menschen in Deutschland mit einem verlorenen Teil ihrer Geschichte zu verbinden. Die ausgewählten Objekte kommen aus der beeindruckenden Sammlung von Yad Vashem in Jerusalem, die über 40.000 Gegenstände umfasst. Ursprünglich stammen sie aus Deutschland. Durch die zeitweilige Rückkehr – zunächst in den Bundestag und dann in ihre Heimatstädte – konnten wir etwas verknüpfen, das zerbrochen und eigentlich für immer verloren schien.
Bei „I said, ‘Auf Wiedersehen‘“ geht es darum, ein einzigartiges Kapitel des Holocaust zu beleuchten. Der Kindertransport wird oft – vor allem im Vereinigten Königreich, wo ich herkomme – als eine Erfolgsgeschichte gefeiert. Es stimmt, dass 10.000 Kinder auf diese Weise gerettet wurden (ca. 1,5 Millionen Kinder wurden im Holocaust ermordet). Unter welchen Umständen aber entscheiden Eltern, sich von ihren Kindern zu trennen und sie in ein anderes Land zu schicken? Dieses Dilemma ermöglicht es, sich auf einer menschlichen und emotionalen Ebene mit dem Thema zu beschäftigen. In der Ausstellung wird anhand von Originalbriefen untersucht, was diese Trennung für die Eltern, die Kinder und die Pflegeeltern bedeutete. Jedes Kapitel der Ausstellung beginnt mit einem Satz aus einem Brief, z. B. „Worried as no letters from you“. Wenn man die Ausstellung betritt, sieht man nur diese Zitate. Die Ausstellung bietet den Besucherinnen und Besuchern die Möglichkeit, sich verschiedene Kontexte für diese Aussagen vorzustellen, bevor er den tatsächlichen – realen – Kontext entdeckt, in dem diese Worte geschrieben wurden. Wir haben Plakate mit den Zitaten gedruckt, die überall in Berlin, und dank der Deutschen Bahn auch im Berliner Hauptbahnhof, zu sehen sind. Die Ausstellung und die Plakatkampagne sind von der Arbeit der amerikanischen Konzeptkünstlerin Jenny Holzer inspiriert, die intensiv mit Text im öffentlichen Raum arbeitet. Übrigens befindet sich im Reichstag ein dauerhaftes Werk von ihr.
MW: Die Erinnerung an den Holocaust wachzuhalten und damit den Millionen Opfern ihre Namen, ihre Identität und ihre Würde zurückzugeben, ist eine zentrale Aufgabe des Freundeskreises Yad Vashem. Mit welchen Initiativen geht der Verein dieser Aufgabe nach?
RU: Der Freundeskreis ist eine deutsche Organisation, die mit der Internationalen Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem verbunden ist. Yad Vashem verfügt über eine unvergleichliche Sammlung, unglaubliche Ressourcen und Fachwissen und hat den Auftrag, der Opfer des Holocaust zu gedenken und die Menschen auf der ganzen Welt aufzuklären. Alles, was wir hier in Deutschland als Freundeskreis tun, hat einen direkten Bezug zu Yad Vashem. Unser Ziel ist es, diese einzigartige Fülle an Wissen für jeden Menschen in Deutschland zugänglich zu machen, um die Erinnerung an den Holocaust wachzuhalten. Unsere Herausforderung besteht darin, neue Wege zu beschreiten. Ich sehe meine Rolle und die des Freundeskreises teils als Vermittler, teils als Übersetzer.
RU: Die Erinnerungskultur spielt eine große Rolle bei der Berthold Leibinger Stiftung. In welchen Bereichen engagiert ihr euch?
MW: Zum kulturellen Erbe von Deutschland gehören auch die dunklen Facetten der Geschichte. Wir unterstützen deshalb gemeinnützige Aktivitäten, die sich der Erinnerung an den Holocaust widmen, damit sich diese antisemitischen und faschistischen Gewalttaten bei uns nie wieder ereignen. Dabei steht vor allem die Aufklärungsarbeit im Vordergrund. So unterstützen wir unter anderem verschiedene KZ-Gedenkstätten bei Ihrer Arbeit und verleihen zusammen mit dem Verein „Gegen Vergessen – für Demokratie“ den Rahel-Straus-Preis. Der Preis geht an Personen und Institutionen in Baden-Württemberg, die sich ehrenamtlich gegen Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit einsetzen. Dieses Engagement aus der Bevölkerung heraus für unsere demokratischen Werte ist im Hinblick auf den aktuellen Rechtsdruck in Deutschland wichtiger denn je.